Europa? Gerade jetzt brauchen wir es!

Zuerst war es nur eine Meldung auf dem Nachrichtenticker, dass in Asien wieder mal ein Virus ausgebrochen war. Aber das war ja ganz weit weg. Dann aber kam es näher, die ersten Kranken wurden in Deutschland ausgemacht. Die Krise war da! Als erste Panikreaktion kam es zu einem Schließen aller Grenzen. Jeder Nationalstaat machte dicht und versuchte, sein „Schäfchen ins Trockene“ zu bringen. Deutschland verbot die Ausfuhr von medizinischem Material und unterband – wie viele anderen europäischen Staaten – allen Grenzverkehr.

Und damit begannen die Probleme. Bereits vorher hatten die EU-Staaten keinerlei Vorsorge getroffen für Katastrophen und Pandemien. Obwohl von allen Experten seit Jahren erwartet, obwohl bereits in einer Pandemie-Studie des Bundestages 2013 mit allen Konsequenzen vorhergesagt, obwohl bereits 2019 die Pandemie-Übung „Crimson Contagion“ in USA katastrophal verlaufen war, trafen weder die Bundesregierung oder die EU-Staaten, noch die USA, Vorbereitungen dazu. Es wurden keine detaillierten Pläne für Europa ausgearbeitet, keine zentralen Pandemie-Kommittes vorgesehen, keine Depots für Schutzmasken, Desinfektionsmittel oder Handschuhe eingerichtet, keine Notfallübungen und Trainings durchgeführt, so dass in Italien inzwischen über 150 Ärzte an Covid-19 gestorben sind.

Stattdessen zeigten sich schmerzhaft die national-staatlichen Grenzen: Ärzte, Ärztinnen und Pfleger*Innen aus Tschechien konnten nicht mehr in deutsche Krankenhäuser kommen, Arbeiter*Innen aus dem Elsass nach Deutschland und umgekehrt, Warenlieferungen stoppten tagelang an Polens Grenzen. Anstelle Europa als ein Europa der Zonen und Regionen anzusehen, das jeweils regional wirtschaftlich und kontaktmäßig zusammenhält, trennten plötzlich Nationalgrenzen die jahrzehntelang gewachsenen Bande. Anstelle die kontaktmäßigen Schwerpunkte wegen des Virus von einander zu isolieren, wurden nur formale Grenzen beachtet.

Dieser Isolationismus hat Folgen: In Italien erinnert man sich an die geschlossenen Grenzen und Exportverbote für Atemmasken und Schutzbrillen und erlebt die finanzielle Abgrenzung Deutschlands von den europäischen wirtschaftlichen Folgen. Wen wundert es da, dass die anti-deutschen Ressentiments wieder aufflammen und nach der jüngsten Umfrage des SWG-Instituts inzwischen 45 Prozent der Italiener in den Deutschen ihre schlimmsten Feinde sehen. Die „Freunde“ Italiens seien China mit 52 Prozent und Russland mit 32 Prozent.

Stattdessen brauchen wir jetzt eine starke, europäische Aufbaubewegung. Mehr Integration ist nötig, nicht weniger. Es ist auch Deutschland nicht gedient, wenn zwar die deutschen Unternehmen gerettet werden, aber die europäischen Zulieferketten zusammenbrechen. Wir brauchen keine Profilierungswettläufe zwischen alfa-Männern der Bundesländer, sondern eine europaweit-einheitliche, regionale, spezifische Behandlung in Krisenzeiten. Nicht Nationalgrenzen müssen geschützt werden, sondern inhaltlich zusammenhängende Regionen und Strukturen.

  • Wir brauchen europäische Vorsorge. Es ist nicht wichtig, alle lebenswichtigen Verbrauchsmittel wie Handschuhe und Schutzmasken nur in Deutschland produzieren zu lassen, sondern, verteilt in Europa und in der übrigen Welt, von mehreren Herstellern, die schnell die Produktion erhöhen können. Es darf nicht zur Katastrophe werden, wenn gerade in einem Land eine Epidemie besonders wütet, sondern die Nachbarn müssen helfen und nicht die Grenzen dicht machen. Viren kennen keine Grenzen.
  • Wir brauchen ein ausreichendes europäisches Gesundheitssystem mit Mindeststandards, und nicht ein neoliberal  kaputt gespartes Gesundheitssystem wie in Italien, das auf die Vorhaltung kostspieliger Intensivbehandlungsplätze verzichten musste – mit verheerenden Konsequenzen.
  • Wir brauchen einheitliche Leitlinien in ganz Europa, welche Grenzen und Flugbeschränkungen nach welchen Kriterien aktiviert werden sollen. Aber auch die regionale Aufhebung der Beschränkungen müssen nach europaweit einheitlichen Kriterien definiert werden: Alle Menschen brauchen Planungssicherheit, gerade die eng zusammen arbeitende Wirtschaft Europas.
  • Wir brauchen einen europaweiten wirtschaftlichen Wiederaufbauplan. Dabei sollen den am meisten betroffenen Wirtschaftszweige und Menschen zuerst geholfen werden, unabhängig von dem Land, wo sie wohnen. Kredite sind da der der falsche Weg: Wie soll ein verschuldetes Land, das durch die Krise am Abgrund steht, das zurückzahlen? Dazu muss das europäische Haushaltsbudget stark angehoben werden; 2% statt 1,1% des deutschen Budgets sind viel zu wenig!
  • UND, überhaupt: wir brauchen europäische Mindestnormen, nicht nur für das Gesundheitssystem, sondern auch für den Umweltschutz (und NICHT die 16 Umweltschutzgesetze der Bundesländer), für Mindestlöhne, für den Arbeitsschutz, für europaweite Krankenversicherungen und Rentenniveaus, für Umsatzsteuer und Ertragssteuern, einfach für alles, was europaweit wirksam ist. Der europäische Arbeitslosenfonds Sure ist da ein kleiner, aber guter Anfang.

Begreifen wir die Corona-Krise als Aufbruch in besseres Handeln, eine Wiedergeburt Europas, und nicht als Rückfall in einen fatalen nationalen Seperatismus, der den Aufbau lähmt und nicht fördert. Die Krise zeigt deutlich den Unsinn der nationalen Grenzen und des Abgrenzens auf. Lassen wir uns das eine Lehre sein!

 

Verwandte Artikel